Arztbesuch per Tablet - Leben 4.0 in Sachsen-Anhalt
Die Digitalisierung bestimmt unsere Zukunft und wird in Sachsen-Anhalt immer greifbarer. Pilotprojekte wie Telemedizin und das Projekt Digitales Dorf Hohe Börde wollen Antworten auf die Lebensgestaltung von morgen geben.
Wer in der Altmark im nördlichen Sachsen-Anhalt wohnt, ist umgeben von Natur, Acker- und Weideflächen und jeder Menge freiem Raum. Was paradiesisch klingt, bringt beim Ausbau von Hochgeschwindigkeitsinternet Herausforderungen mit sich. Wo kommerzielle Anbieter sich zurückhalten, wird die Schaffung von Breitbandinternet durch alternative Anbieter gefördert. Einer davon ist der Zweckverband Breitband Altmark (ZBA).
„Das Leben in einer ländlichen Region ist schön, sicher und zufriedenstellend. Dennoch müssen die Grundanforderungen eines jeden Bürgers und auch der Wirtschaft gegeben sein, um hier leben zu können“, sagt Andreas Kluge, Geschäftsführer des ZBA. Vor diesem Hintergrund versorgt der ZBA die ländlichen Gegenden in Sachsen-Anhalts Norden mit Glasfaseranschlüssen.
Der erste Pilotabschnitt nördlich von Stendal ist fertig gestellt. Dort werden 19 Orte – teils mit unter 81 Haushalten – mit schnellem Internet versorgt. Die Glasfaser ermöglicht ein Upgrade auf höhere Datenraten per simpler Einstellung beim Internetanbieter ohne weitere Tiefbauarbeiten“, erklärt Kluge. In Sachsen-Anhalt wird die digitale Infrastruktur ausgebaut. Sie ist wichtige Voraussetzung für das digitale Leben der Zukunft. Zum Start des 5G-Netzes in Leuna erklärte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff: „Für Sachsen-Anhalt bietet der digitale Wandel enorme Entwicklungschancen, sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich und kulturell. Die künftige Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit hängen von einer tatsächlich flächendeckenden Verfügbarkeit ab. Allein bis 2020 investiert das Land rund 200 Millionen Euro, auch danach wird das Land mit Hilfe von Bundes- und EU-Mitteln den Ausbau vorantreiben.“ Sachsen-Anhalt strebt eine umfassende Versorgung mit 5G-Netzen an. Immerhin wird 5G zugeschrieben, die notwendige Voraussetzung zu sein für die Fabriken der Zukunft, für Smart Farming, für vertikale Logistik oder auch für autonomes Fahren.
In Sachsen-Anhalt leitet das Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung den Prozess der Digitalisierung. Wirtschaftsminister Prof. Dr. Armin Willingmann: „Das Wirtschaftsministerium begleitet Unternehmen bei diesem Prozess mit der Unterstützung des Breitbandausbaus sowie einer umfangreichen Förderpalette und verschiedenen Digitalisierungsprogrammen.“ Mit Unterstützung von EU-Mitteln stehen zum Beispiel für kleine und mittlere Unternehmen zwei Richtlinien „Digital Creativity“ und „Digital Innovation“ bereit.
Mehr noch als die Industrialisierung der Wirtschaft und die Mobilisierung der Massen wird die Digitalisierung unsere Gesellschaft verändern, denn sie prägt tatsächlich unser ganzes Leben. „Die kreative Gestaltung des digitalen Wandels und die konsequente Nutzung möglichst aller mit ihm verbundenen Chancen, ist die Zukunftsfrage unserer und der nächsten Generationen“, so Haseloff.
Die Digitalisierung beeinflusst unser tägliches Leben
Beim Ausbau der Digitalisierung geht es schon lange nicht mehr nur um die Kommunikation, sondern um die moderne Lebensgestaltung. Digitaler Vertrieb, Telemedizin, E-Learning und digitaler Fernunterricht. Einiges hört sich wie Science-Fiction an – ist es aber keineswegs, wie ein Blick nach Halle zeigt. Dort wird die Vision Realität.
Im Königsviertel hat eine Hallesche Wohnungsgenossenschaft im Rahmen eines Pilotprojekts 30 Wohnungen mit digitalen Assistenzsystemen ausgestattet. Sensoren überwachen sensible Bereiche wie Balkontüren oder den Herd. Das Mittagessen steht auf dem Tisch, gerade hat sich das Ehepaar gesetzt, da sendet das zum System gehörende Tablet eine Sprachnachricht: Der Herd wurde nicht ausgeschaltet. Reagieren die Bewohner nicht, baut das System automatisch eine Verbindung zu einer nahestehenden Person oder der Notrufzentrale auf. „Unser Anliegen ist das selbstbestimmte Wohnen. Und da braucht es vor allem im hohen Alter technische und digitale Services“, sagt Dirk Neumann, Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Freiheit in Halle.
Pilotprojekt Telemedizin
Ein weiterer Baustein des digitalen Services ist die Telemedizin. Gerade in ländlichen Gegenden kann ihr Einsatz aufwendige und langwierige Fahrten zum Arzt vermeiden. Die Patienten können statt in der Praxis einfach über ein Tablet in der Wohnung mit dem Arzt sprechen. Im Pilotprojekt gaben über 90 Prozent der Teilnehmer an, sich durch die Möglichkeit der Telemedizin zu Hause sicherer zu fühlen.
Sachsen-Anhalt will bei der Telemedizin eine Vorreiterrolle in Deutschland einnehmen. Ministerpräsident Reiner Haseloff ist Schirmherr des Projekts. „Das Angebot soll im Zeitalter der Digitalisierung eine Brücke bei der flächendeckenden medizinischen Versorgung der Patienten sein“, erklärte Haseloff bei der Vorstellung des bundesweiten Modellprojekts. Er verspricht sich viel und will noch einen Schritt weitergehen: Der Arzt könne nach dem Gespräch via Tablet gleich ein elektronisches Rezept schicken – als QR-Code aufs Handy des Bewohners. Der kann damit zur Apotheke gehen und sich das Medikament abholen. In Sachsen-Anhalt gibt es zudem ein Pilotprojekt „zum Einsatz eines online-basierten Unterstützungsprogramms für Menschen die unter Depressionen, Ängsten und Burnout leiden“, erläutert Matthias Paul von der Kassenärztlichen Vereinigung des Landes. In Zukunft sollen Vitaldaten, etwa Blutdruck, Blutzucker, EKG-Daten, auch telemedizinisch erhoben werden können.
Die Voraussetzungen für digitale Anwendungen in der vertragsärztlichen Versorgung in Sachsen-Anhalt sind grundsätzlich gut, sagt Paul. So seien etwa 90 Prozent der Vertragsärzte und Psychotherapeuten mit ihren Praxen an die Telematikinfrastruktur angeschlossen und führen das Versichertenstammdatenmanagement online durch.
Ein besonderes Pilotprojekt ist in der Gemeinde Hohe Börde, westlich von Magdeburg, gestartet worden. Die Gemeinde hat in einer Machbarkeitsstudie ermittelt, was sich ihre Bewohner von der Digitalisierung wünschen und welche Bedürfnisse existieren. Zu den Ergebnissen der Machbarkeitsstudie zählen unter anderem Wünsche nach telemedizinischen Angeboten, regionalen Online-Läden, digitalen Flohmärkten, eine Kommunikationsplattform der Gemeinde mit Online-Dienstleistungsangeboten des Rathauses und freiem W-LAN.
„Der digitale Fortschritt gibt den Rhythmus vor, in dem Jeder mit muss. Es wird schwer. Aber es lohnt sich, durch die Nutzung digitaler Instrumente mehr Freizeit, mehr Zeit zum Genießen und Nachdenken zu gewinnen“, so die Bürgermeisterin der Gemeinde Hohe Börde, Steffi Trittel.
Das Interesse an der Mitgestaltung des digitalen Wandels in der Gemeinde ist groß. Der 55-Jährige Mike Reß aus Hohenwarsleben erklärt: „Wir wollen als Ortschaftsrat in der Hohen Börde und speziell in unserem Ort etwas bewegen und das funktioniert nur mit Wissen. Und Wissen ist Rechner, Laptop, Tablet – Vernetzung.“ Reß ist in Hohenwarsleben geboren, aufgewachsen und engagiert sich seit fast 40 Jahren für den Ortsteil mit 1600 Einwohnern – als aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und als Ortschaftsrat. Er will sich für seine Heimat einsetzen und Impulse zur digitalen Gestaltung der Hohen Börde geben. Damit steht er stellvertretend für die kreativen, engagierten Köpfe, die in Sachsen-Anhalt Ideen in die Tat umsetzen, Visionen verfolgen und Dinge in die Hand nehmen.
Auf Basis der Machbarkeitsstudie startete dann Anfang 2019 das Projekt „Digitales Dorf Hohe Börde – Digitaler Kompetenzerwerb für alle Generationen“. Es wird vom Umweltministerium des Landes mit 200.000 Euro unterstützt. Ein Projektleiter und ein technischer Mitarbeiter werden bis Ende 2020 in den Dörfern der 19.000 Einwohner-Gemeinde die digitale Kompetenz schulen und ausbauen.
Ob dezentrale Verwaltung, E-Learning, Telemedizin, Notfalldaten für Rettungskräfte: Die Digitalisierung macht vor kaum einem Lebensbereich halt. Und Sachsen-Anhalt stellt sich den Herausforderungen: Vom Pilotprojekt bis zur praktischen Umsetzung.