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Kirstin Knufmann - Powerfood von der Algenfarm

Von der Modefotografin in New York zur Algenexpertin in der Altmark. Kirstin Knufmann gründete einen Online-Shop für Rohkost­produkte und wurde als Deutsche Kreativpilotin ausge­zeichnet.

Knapp 10.000 Menschen leben in Klötze im Norden Sachsen-Anhalts. Der Weg dorthin führt an Pferdekoppeln und Feldern vorbei. Ein Traktor, beladen mit Heuballen, kreuzt die Straße. Landwirtschaft so weit das Auge reicht. Weite, offene Flächen. Viel Platz, endlose Möglichkeiten.

Auch Kirstin Knufmann hat es vor einigen Jahren nach Klötze gezogen. „Geplant war das nicht“, gesteht sie. Geboren in Frechen bei Köln, hat sie die ganze Welt bereist. München, Barcelona, New York, Los Angeles, die Philippinen: Knufmann fühlte sich überall zu Hause. Nach Ausbildung im Immobilienbereich und Fotografie-Studium arbeitete sie als Celebrity-Fotografin in den USA. „Ich hab’ sogar Sylvester Stallone fotografiert“, erinnert sie sich. Damals kam sie auch mit der roh-veganen Küche in Berührung. „Das kannte ich aus Deutschland nicht. Ich war schon Veganerin, aber die roh-vegane Ernährung hat mich umgehauen! Nach zwei Wochen dachte ich: Wow! Geht es mir super!“

Ein Wohlgefühl, das sie auch nach ihrer Rückkehr in die Heimat bei Köln nicht mehr losließ. „Mir kam es auf die Qualität der Lebensmittel an. Also habe ich viel getestet“, sagt sie. Bald trudelten im Elternhaus Pakete mit Rohkost-Produkten aus der ganzen Welt ein. Nüsse, Pilze, Samen, Saaten, Beeren – möglichst unverarbeitet, ohne künstliche Konservierungsmittel. Knufmann war fasziniert vom guten Körpergefühl, das ihr die roh-vegane Ernährung gibt. Und steckte andere an. Sie bestellte für Freunde und Bekannte, mischte Zutaten, füllte Nüsse und Beeren ab. „Mein Kinderzimmer wurde mein Hauptquartier, von dem aus ich die Bestellungen koordiniert habe“, lacht sie.

Als der Platz nicht mehr reicht, will Knufmann mit ihren Produkten umziehen. „Eigentlich wollte ich nach Hamburg oder München. Den Tipp, nach Sachsen-Anhalt zu kommen, bekam ich von Jörg Ullmann“, verrät Knufmann. Kennengelernt hatte sie ihren heutigen Lebensgefährten und diplomierten Biologen auf einer Veranstaltung über Algen. Ullmann ist Geschäftsführer einer der größten Mikroalgenfarmen Europas – in Klötze. „Er erzählte mir von einem freien Bürogebäude auf dem Gelände der Algenfarm und ich habe es mir direkt angeschaut.“ Knufmann entscheidet sich zu bleiben. „Niedrige Mieten und Platz zum Wachsen. Was wollte ich mehr?“ Ihr Projekt heißt PureRaw und wird 2020 bereits zehn Jahre alt. 

Natürlich – roh – vegan

PureRaw bietet viele der Produkte an, die Knufmann ausprobiert und getestet hat. Über 240 Artikel können im Online-Shop bestellt werden. Reishipulver, Acai-Frucht-Pulver, Baobab-Fruchtstücke. Exotische Produkte, die von Klötze in die ganze Welt gehen. Besonders die Schweiz und Österreich brennen für die „echten Lebensmittel“, wie Knufmann sie nennt. Dabei sieht sich die Expertin vor allem als Beraterin mit hilfreichen Tipps und alltagstauglichen Rezepten. „Vegane Küche ist kein Hexen­werk. Sie funktioniert nur anders“, ist sie überzeugt.

Wie in einer Hexenküche sieht es bei PureRaw nicht aus. 2015 ist Knufmann in ein neues Gebäude in Klötze gezogen – das Haus auf dem Gelände der Algenfarm war zu klein geworden. Elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten hier in Abfüllstation, Versand, Lager, Kundenservice und Marketing. Hinter einem Schleusengang mit Hygieneschutz befüllen zwei Mitarbeiterinnen Tüten mit abgewogenen Samen, Beeren und Pulvern.

Knufmann brennt für ihre Produkte und die Rohkost-Ernährung. Ein Gefühl, das sie teilen möchte. 2010 hat sie den RawFood Award ins Leben gerufen. Einmal im Jahr treffen sich Profi- und Hobbyköche aus ganz Europa. In der Küche von PureRaw in Klötze wird dann gedörrt, eingeweicht und kreativ kombiniert. Auf dem Menü stehen roh-vegane Rezeptideen. Die Gewinner­rezepte des Vorjahres tragen raffiniert-klangvolle Namen wie „Meeresgarten Füllhorn“ oder „Cassis-Algen ‚Butter­creme‘ Rawcake“. 2018 stand das Powerfood ‚Alge‘ im Mittelpunkt.

Knufmann hat das Meeresgemüse bereits vor einigen Jahren für sich entdeckt und ist begeistert. „Algen sind unglaublich vielseitig. Sowohl kulinarisch, als auch von den Inhaltsstoffen her. Sie sind proteinreich und enthalten viele wertvolle Mineralstoffe und Vitamine“, erläutert sie. „Außerdem wachsen sie viel schneller als Landpflanzen.“ Ein großer Vorteil für die bei schwindenden Landressourcen stetig wachsende Weltbevölkerung. Algen können kultiviert werden, ohne vorhandene landwirtschaftliche Flächen zu nutzen.

Auch in der Industrie ist die Alge längst angekommen und wird vielseitig eingesetzt. Bereits heute enthalten rund 70 Prozent aller Lebensmittel Varianten des Meeresgemüses. Die Spirulina, die blaue Alge, wird zum Beispiel zum Färben von Getränken, Gummibärchen und Schokolinsen benutzt.

Innovationspreis für BOBEI

Mit der grünen Süßwasseralge Chlorella ist Knufmann erst kürzlich auf eine überraschende Entdeckung gestoßen. BOBEI – Backen ohne Butter und Ei war ein reines Zufallsprodukt. „Eigentlich war das ein Forschungsprojekt, in dem eine Chlorella speziell fermentiert, also das natürliche Wachstum der Alge anders gesteuert wurde. Mit dem Ergebnis wusste niemand etwas anzufangen.“ Knufmann testete in der PureRaw-Testküche und fand heraus: Das goldgelbe Pulver hat einen Fettgehalt von 50 Prozent, ist gut löslich und eignet sich als Ei- und Butterersatz. BOBEI wurde 2018 mit dem Hugo-Junkers-Preis für Forschung und Innovation in Sachsen-Anhalt ausgezeichnet.

Knufmann geht neue Wege und glaubt an das, was sie tut. Unabhängig vom Erfolg. „Dass ich mit PureRaw Geld verdiene, war nicht mein Fokus. Eigentlich wollte ich meine Fotografie weitermachen. Und dann war da dieses neue faszinierende Projekt! Das musste ich einfach verfolgen“, sagt sie. „PureRaw ist für mich immer noch ein Startup. Es hat noch viel Potenzial.“

Potenzial sieht auch Jörg Ullmann. Vor allem im Superfood Alge. Anzutreffen ist er auf der Algenfarm kurz vor den Stadttoren von Klötze. Direkt am Waldrand werden hier auf einer Fläche von 1,2 Hektar verschiedene Mikroalgen kultiviert. Algenfarmer Ullmann führt durch das lichtdurchflutete Gewächshaus und erzählt: „Wir sind gerade noch in der Anbausaison von März bis Oktober. Im Prinzip geht es uns wie Landwirten. Wir müssen genau darauf achten, was unsere Pflanze braucht.“ Die Alge braucht Nährstoffe, Kohlendioxid und Licht. Das Photobioreaktorsystem in Klötze produziert Mikroalgen en masse. 30.000 bis 50.000 Tonnen entstehen hier im Jahr.

500 Kilometer lang ist das Röhren­system. Die Glasröhren sind an beiden Seiten zu haushohen Wänden aufeinander gestapelt. In ihnen sprudelt es grün. Die Chlorella ist nur ungefähr so groß wie rote Blutkörperchen, nicht wahrnehmbar für das menschliche Auge. Sichtbar wird sie nur, wenn sie später getrocknet zu Pulver verarbeitet wird. Das ist dann einfach weiterzuverarbeiten. Die Mikroalgenfarm in Klötze ist die älteste Europas. Und war lange die einzige. „Mittlerweile sprießen die Algenfarmen wie Pilze aus dem Boden und das ist gut so“, meint Ullmann und lacht. Besonders die Kosmetikindustrie hat die Vorteile pflanzlicher Inhaltsstoffe erkannt. Verkauft werden die Algen aus Klötze zudem an die Lebensmittel- und Futtermittelindustrie. Ullmann ist sicher: „Die Algenindustrie ist innovativ und hat viel Potential. Da tut sich was!“ Gerade deshalb wird in Klötze intensiv zum Thema Alge geforscht. „Wir sind in Sachsen-Anhalt Vorreiter. Es gibt hier Anlagenbauer, Hochschulen, das Fraun­hofer-Institut, Produktentwickler und Vermarkter, die das Thema schlussendlich ins Supermarktregal bringen.“

Vermarkter und Vorreiter wie Kirstin Knufmann, die die Alge bekannter machen will. Deshalb hat sie im Rahmen des Innovationsforums Mittelstand den AlgaeFood-Kongress ins Leben gerufen. Im Juni 2018 trafen sich Algenexperten aus Forschung und Entwicklung, Produktentwickler, Produzenten, Händler, Köche und Vereine in Magdeburg. Algen-Networking mit Erfolg. Knufmann glaubt an die Innovationskraft der Alge. Sie hält Vorträge, präsentiert Algenrezepte auf Messen, verfasst Publikationen und organisiert Kongresse. Hat sie noch Pläne für die Zukunft? „Jede Menge!“, sagt sie und lacht.

Kopf

Kirstin Knufmann wuchs in Frechen bei Köln auf. Nach Ausbildung im Immobilienbereich und Fotografie-Studium in Köln und Barcelona zog sie in die USA. Dort lernte sie die roh-vegane Ernährung lieben. Zurück in Deutschland gründete sie 2010 PureRaw, einen Online-Shop für roh-vegane Lebensmittel mit Sitz in Klötze (Sachsen-Anhalt). Zudem hat sie den RawFood Award und den AlgaeFood-Kongress ins Leben gerufen.

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Landesmotto #moderndenken

Modernes Denken ist ein Markenzeichen Sachsen-Anhalts. Hier haben über Jahrhunderte hinweg kluge Köpfe weltverändernde Ideen entwickelt, die ihrer Zeit voraus waren. Sechs Ideen aus dem heutigen Sachsen-Anhalt hat die UNESCO als Erbe der Menschheit anerkannt. Das Bundesland besitzt eine einmalige Dichte von Welterbestätten. Hinzu kommen UNESCO-Modellregionen für Nachhaltigkeit. Die Region bot über Jahrhunderte Freiräume, modern zu denken. Dieser Geist, Neues zu wagen und vorzudenken, wirkt bis heute fort. Das belegen die vielen positiven Beispiele der Kampagne www.moderndenken.de

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