Zentrum für die Chemieforschung
Strukturwandel in den Kohleregionen: Prof. Peter Seeberger baut im mitteldeutschen Revier das Großforschungszentrum Center for the Transformation of Chemistry, kurz CTC, auf.
Wie müssen wir uns eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft in der chemischen Industrie vorstellen?
Prof. Seeberger: Die Chemieindustrie, die sich in den letzten 170 Jahren entwickelt hat, geht typischerweise von fossilen Rohstoffen aus. Öl oder Gas werden aufgetrennt und aus den unterschiedlichen Fraktionen verschiedene Chemikalien hergestellt, seien es Farbstoffe, sei es Plastik. Vor 200 Jahren kamen alle unsere Materiale aus der Natur. Das Ziel muss sein, wieder zu so einem Kreislauf zu kommen. Vielleicht nicht alles aus nachwachsendem Rohstoff, das würde von den nötigen Mengen extrem schwierig werden, aber wir müssen den kompletten Kreislauf denken. Wenn wir etwas nicht mehr brauchen, dann müssen wir in der Lage sein, es in seine Einzelheiten zu zerlegen, um es wieder nutzen zu können. Das ist die große Herausforderung, die über Generationen gedacht werden muss.
Wie ist der Zeitplan für das CTC?
Prof. Seeberger: 2023 hat eine dreijährige Aufbauphase begonnen. Wir haben zunächst eine Verwaltung aufgebaut. Jetzt wird festgelegt, was wir bauen wollen, an was genau geforscht wird. Wir knüpfen Verbindungen zu bereits bestehenden Universitäten und anderen Forschungszentren in der Umgebung und sind gerade dabei, die ersten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu zu holen. Ab dem 1. Januar 2026 soll die institutionelle Förderung beginnen. Mein Ziel ist es aber, die Aufbauphase idealerweise bereits Ende 2024 abgeschlossen zu haben, um schneller mit Projekten zu beginnen als gedacht. Das Ziel muss sein, schnellstmöglich zur Umsetzung zu kommen.
Welche Bereiche der Industrie werden durch Ihre Arbeit berührt?
Prof. Seeberger: 95 Prozent aller Produkte, die wir in Deutschland konsumieren, sind entweder chemisch hergestellt oder chemisch behandelt. Alle Bereiche unseres Lebens haben mit Chemie zu tun. Im Bereich der Automobilindustrie haben wir zum Beispiel in jedem Auto extrem viel Chemie: Plastikteile, Klebstoffe, Lacke und Farben. Alles Chemie. Deswegen arbeiten wir unter anderem mit BMW zusammen, die bis 2040 ein komplett rezyklierbares Auto haben möchten. Wenn wir das nachhaltig machen wollen, müssen wir uns komplett neue Gedanken machen. Ein zweiter großer Bereich ist Bauen und Wohnen. Viele Baumaterialien sind Chemie, alle Möbel, alle Einrichtungsgegenstände. Aber auch unsere Kleidung enthält Chemie und ist momentan überhaupt nicht nachhaltig. Und der letzte große Teilbereich sind Windenergie und Photovoltaik. Windräder sind momentan überhaupt nicht wiederverwertbar. Wir müssen uns Gedanken machen, wie Windkraftanlagen in Zukunft ausschauen, sodass man sie wiederverwenden kann und nicht nur Sondermüll produziert. Das Gleiche gilt bei Photovoltaikanlagen.
Steht dabei eher die Grundlagenforschung oder die anwendungsbezogene Forschung im Vordergrund?
Prof. Seeberger: Es ist eine starke Grundlagenforschung, die aber – wenn sie ordentlich gemacht wird – völlig neue Anwendungsfelder eröffnet. Wenn Sie wirklich neue Dinge entdecken, ergeben sich dafür auch Möglichkeiten der Umsetzung im kommerziellen Bereich. Das Geld für das CTC kommt aus Mitteln für den Strukturwandel in den Kohleregionen, und wir wissen, dass eine Grundlagenforschung, die am Ende nur Erkenntnisgewinn und schöne wissenschaftliche Publikationen bringt, in diesem Fall nicht ausreicht. Es geht um Grundlagenforschung, die zu einer kommerziellen Umsetzung und zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen führt – idealerweise erst mal in der Region, aber dann auch darüber hinaus in ganz Deutschland.
Ein Standort des CTC wird in Sachsen-Anhalt sein. Wie weit sind die Planungen dazu?
Prof. Seeberger: In Sachsen-Anhalt ist soweit sicher, dass es der Saale-Kreis sein wird. Ob das dann Merseburg oder Leuna wird, ist momentan noch im Gespräch. Es macht aber Sinn, weil in der Region die Chemie sehr stark ist, wie auch an anderen Standorten in Sachsen-Anhalt.
Was könnte die Rolle des Standorts in Sachsen-Anhalt sein?
Prof. Seeberger: Es wird keine strikte Trennung geben, etwa mit früher Forschung in Sachsen und der Anwendung in Sachsen-Anhalt. Beide Standorte sollen Grundlagen liefern und auch die Umsetzung der Grundlagen in der Industrie. Das wird auf beide Standorte gleich verteilt.
Welche Auswirkungen auf die schon vorhandene Chemieindustrie erwarten Sie?
Prof. Seeberger: Wir wollen ein Zeichen setzen, dass wir eine Zukunft in der Chemieindustrie sehen. Erstes Ziel muss eine enge Zusammenarbeit mit den bestehenden Firmen sein, um diese zu stärken. Dann möchten wir den Standort attraktiv machen für Firmen, die sich hier ansiedeln wollen. Und idealerweise gelingen uns neben Ansiedlungen auch Spin-offs aus der Forschung, um neue innovative Firmen aufzubauen.
Haben Sie schon Feedback von bestehenden Unternehmen?
Prof. Seeberger: Als wir die Förderung beantragten, hatten wir schon 140 Firmen, die etwas mit uns zusammen machen möchten. Das beginnt mit allen Firmen in der Region und Unternehmen wie BASF oder Bayer, aber auch Firmen wie BMW und Microsoft. Microsoft hat zum Beispiel verstanden, dass Chemie eine Datenwissenschaft ist und die großen Player in Zukunft vielleicht nicht mehr herkömmliche Chemie- und Pharmafirmen sind, sondern aus einem anderen Feld kommen, ähnlich wie bei Tesla. Wir sprechen jetzt schon über ganz spezifische Projekte, keine Luftschlösser.
Gibt es für Sie Vorbilder für diese Art Forschung und Zusammenarbeit?
Prof. Seeberger: Ich war Professor am MIT und habe gesehen, wie ein erfolgreicher Transfer zwischen Forschung und Industrie aussehen kann. Das MIT und die Universität Stanford sind Paradebeispiele in den USA. Wir sind wirklich interessiert, eine völlig neue Art von Institution in Deutschland aufzubauen, um den Weg von der Forschung in den Transfer leichter zu machen. In Deutschland schaffen wir es oft nicht, die großartigen Forschungsergebnisse auch in konkrete Ideen und Firmen umzusetzen. Wie das funktionieren kann, wollen wir am CTC exemplarisch in der Chemie zeigen.
Idee
Im Rahmen der Initiative „Wissen schafft Perspektiven für die Region!“ hatte die Bundesregierung einen Ideenwettbewerb zur Gestaltung des Strukturwandels in den Kohleregionen ausgeschrieben. Die Idee von Prof. Seeberger, ein Forschungszentrum für die chemische Industrie zu errichten, konnte sich durchsetzen. Ziel ist es, die chemische Industrie zu einer Kreislaufwirtschaft zu transformieren. In das Projekt werden 1,25 Milliarden Euro investiert. Hier sollen rund 1000 Mitarbeiter forschen und die Zukunft mitgestalten. Für das CTC werden Standorte in Sachsen und Sachsen-Anhalt aufgebaut.